Betrachtungen
zum Kunstschaffen von Stefan Laug

anläßlich seines 40. Geburtstages am 11. Juni 2000

von Dr. Thomas Weis
Berater für Führungskräfte



Die vorliegenden Betrachtungen streben an, das künstlerische Wirken von Stefan Laug aus persönlicher Sicht darzustellen. Wenn die Betrachtungen dem interessierten Leser den Zugang zu seinem Schaffen erleichtern und ihm als Anreiz dienen, sich näher mit seinen Arbeiten zu befassen, dann ist ihr Zweck erfüllt. Ein weiterer Hinweis ist für das Verständnis hilfreich. Als Bezugspunkt der Betrachtungen verwende ich aufgezeichnete und veröffentlichte Gespräche mit Joseph Beuys.

Die Überlegungen von Beuys zur Kunst sind zum Verständnis des Kunstschaffen von Laug insofern dienlich, als es Querverbindungen gibt. Im zeitgeschichtlichen Sinne läßt sich sagen, daß Laug einerseits in der Tradition von Beuys steht. Anderseits hat er Zugänge, die davon unabhängig sind. Letztlich so scheint es mir - münden seine Zugänge in einem eigenen, originellen Kern.

Diese Originalität mag jeder Künstler für sich reklamieren. Gemessen an einem Kunstbegriff, der sich an höchsten Idealen und Qualitäten orientiert, muß die Originalität einer Prüfung standhalten. Die Arbeiten Stefan Laugs dieser Prüfung zu unterziehen ist nicht mein Anliegen. Ich möchte an dieser Stelle ein subjektives "Vorurteil" dahingehend abgeben, daß sich davon überzeugt bin, daß sich eine solche Prüfung lohnen würde.

Der Qualitätsgedanke war Beuys wichtig. So fragt er: "Gut, es ist etwas aus mir herausgekommen, aber hat es nun auch schon Qualität?" (1, S. 16). Mit Recht weist er darauf hin, daß künstlerische Produktionen auch ein "Psychogramm von Krankheitserscheinungen" (ebd.) sein können. Dem nach Qualität ringenden Künstler kann es nicht um subjektive Bedürfnisse gehen, sondern um das, was das Kunstobjekt will, "was das Holz oder der Stein Will, aus sich heraus" (1, S.37).

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Er muß sich ganz in den Dienst der Sache stellen, ja seine tiefe Hingabe zur Sache ist es, die ihn leitet und ihn trägt. Vielleicht liegt darin ein verläßliches Kriterium zur Beurteilung eines Künstlers: daß er sich als Persönlichkeit ganz zurücknehmen kann zugunsten dessen, was in ihm zur Äußerung drängt, etwas was größer, erhabener, vollkommener ist, als er selbst.

Diese Haltung, ganz hinter dem eigenen Tun zurückzutreten, bescheiden, ja demütig der "Sache" zu dienen, kann ich Stefan Laug aus meiner persönlichen Teilhabe an von ihm durchgeführten Performances, Aktionen mit Butterlichtern, bezeugen. Dabei habe ich erfahren: Lasse ich mich auf das ein, was er vollzieht, kann ich vom Beobachter zum Beteiligten werden. Und es kann etwas von seiner Haltung auf mich überspringen, so daß ich mir gewahr werde: in der Demut schaffe ich die Voraussetzung in dem Geschehen mehr zu erkennen als das Abbrennen von Kerzen. Und ich ahne: Daß sich hinter dem Geschehen mehr verbirgt, als mir direkt zugänglich ist.

Diese Wirkung überrascht angesichts der Klarheit der Formen, der Schlichtheit der Mittel, der Einfachheit der Durchführung. Auch in dieser Weise springt etwas von den Intentionen auf mich über, wenn ich mich dafür öffne. Hier scheint mir ein wichtiger Grundzug in seinem Kunstschaffen zu liegen, wie er auch in seinen einfach gehaltenen Goldobjekten zum Ausdruck kommt: Form, Mittel und Prozeß sind keine künstlerischen Stilmittel, sondern Offenbarungen von etwas, was ich in erster Annäherung als "geistige Wahrheiten" bezeichnen möchte. In dem Maße, indem man äußerliche Merkmale als Verweise für innerliche verwendet, werden Tiefenschichten erkennbar und Tiefenwirkungen spürbar. Diesen Schichten und Wirkungen folgend, erscheinen die oben verwendeten Begriffe der Klarheit, der Schlichtheit und der Einfachheit keine Merkmale mehr sondern prägnant formulierte Prinzipien, die das Gemeinte zur Formel verdichten.

Hier finde ich bei Beuys Entsprechungen, wenn er Kunst als Idee beschreibt: "die Prinzipien auf das zurückführt, was man das Eine nennt, was man dann schließlich auch in einer Formel ausdrücken kann. (i.S.19). Eine solche Formel müßte Beuys zufolge grundlegende Probleme lösen helfen, die alle betreffen.

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Mit diesem Gedanken im Hinterkopf frage ich mich: Liegen in den Kunstobjekten und Performances von Stefan Laug solche Lösungen vor, die nur darauf warten, erkannt und umgesetzt zu werden? Und wenn dem so wäre, wo endet der Auftrag des Künstlers, zur Verbreitung seiner Erkenntnisse zu sorgen und wo fängt die Aufgabe von uns allen an, uns dafür zu interessieren und daraus Nutzen zu ziehen? Und überhaupt: ist Kunst eine Sache von wenigen, eine Arbeit von dafür Befähigten oder ein Auftrag, oder gar eine Pflicht für uns alle?

Beuys hat die letzte Frage entschieden bejaht: in seinen Augen sind wir alle Künstler, weil seiner Ansicht nach, jede Fähigkeit des Menschen aus der "Kunstfähigkeit des Menschen" stammt, womit er die Fähigkeit meint, "kreativ zu sein." (11, S.68). Damit wird die Kunst zum Auftrag und zur Pflicht für uns alle, dem und der wir uns nicht entziehen dürfen. Dem Künstler obliegt es als Vermittler zu fungieren, indem er seine Fähigkeit, Ideen und Ideale transferieren, in den Dienst der Öffentlichkeit stellt.

"Wir Komponisten - meint Grieg - projizieren das Unendliche, Unbegrenzte in das Endliche, Begrenzte" (Abell S. 178). Dies läßt sich auch für die Arbeiten von Stefan Laug sagen. Man gewinnt den Eindruck, daß sich seine Arbeiten aus kosmischen Quellen speisen. Sie schließen Wirklichkeitsschichten auf, die hinter dem Sichtbaren liegen. Zu diesen Wirklichkeitsschichten - so mag man glauben - erhält man Zugang, wenn man über seine äußeren Sinne hinausgeht und mit seinen inneren Sinnen wahrzunehmen beginnt. Dies setzt voraus, daß das eigene Glaubensystem die Möglichkeit solcher "Tiefensinne" zuläßt. Über diese Sinne sich zu verständigen erfordert eine indirekte, symbolische Sprache, da sich die Sprache im Medium des körperlich sinnlichen, dem "Begreiflichen" bewegt. Hier deutet sich für mich eine weiterer Grundzug des Kunstschaffens von Stefan Laug an: seine Arbeiten sensibilisieren auf eine unaufdringliche Weise für diese Dimensionen, für ein tieferes Sehen und Verstehen.

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Beuys erkennt in dem tieferen Sehen ein Evolutionsprinzip am Werke, das er auch als Christuskraft bezeichnet. Dazu schreibt er: 'Wer mit dem inneren Auge zu sehen sucht, der sieht, daß er (der Christus) längst wieder da ist. Nicht mehr in einer physischen Form, aber in der bewegten Form, einer für das äußere Auge unsichtbaren Substanz." (S.109). Mit der "bewegten Form" meint er das Prinzip der Veränderung und Erneuerung: "die alte Gestalt, die stirbt oder erstarrt ist, in eine lebendige, durchpulste, lebensfördernde, seelenfördernde, geistfördernde Gestalt umzugestalten. Das ist der erweiterte Kunstbegriff." (S. 109).

Dieser erweiterte Kunstbegriff läßt sich auf die Arbeiten von Stefan Laug übertragen. Sie enthalten für mich Aspekte, der Bewegung, der Umgestaltung, der Transformation. Meine Beobachtung: wer sich auf die Arbeiten einläßt, wer an den Performances teilhat, erfährt, wie diese Transformation als Angebot, ja mehr noch, als Geschenk, zu wirken beginnt, subtil, zurückhaltend, weise. Man meint aus den Augen der Erwachsenen Kinderaugen hervorblitzen zu sehen, als ob diese nur auf eine passende Gelegenheit gewartet hätten, sich zu zeigen. Auf der anderen Seite gibt es Anwesende, die wie von einer inneren Unruhe gepackt werden, so als ob sie sich dagegen wehren, etwas in sich nicht aufsteigen zu lassen.

Die Quellen seiner Arbeiten werden mir zugänglich, wenn ich das, was geschieht, unvoreingenommen auf mich wirken lasse; wenn ich künstlerisch-ästhetische Empfindungen als Leiter verwende, die ich zurücklasse muß, weil sie nicht in diese Höhen reicht. Dazwischen liegt ein Sprung ins Ungewisse, weil ich Bekanntes, Vertrautes, Vergleichbares überwinden muß. Ich muß auf Bewertungen verzichten, das Denken einstellen, leer werden: schweigen, um in den Vorhof der Quellen zu gelangen.

Im Vorhof der Quellen habe ich das Gefühl am Fuße eines in Wolken verhangenen Bergriesen zu stehen, dessen Größe ich nur erahnen kann. Enthält die in seinen Gedichten so häufig verwendete Bezeichnung "Stilles Licht" Verweise auf eben dieses? Ist sie dafür ein Fingerzeig, ein Wegweiser, dessen Sinn sich nur offenbart, indem man den Berg erklimmt?

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Meine Begegnung mit der Person Stefan Laug und seinen künsterlischen Arbeiten, seinen Performances, seinen Kunstobjekten, seinen Gedichten, haben meine Ansichten zur Kunst grundlegend verändert. In den Teilen, in denen meine Ansichten nichtssagend waren, habe ich aufschlußreiche Antworten erhalten. In den Teilen, wo sie skeptisch waren, habe ich gelernt zu unterscheiden: das, was vorgibt Kunst zu sein, leichter zu entlarven; das, was Kunst leisten kann, klarer zu erkennen und wertzuschätzen. Die Umwandlung hat mich tief bewegt, die Einweisung hat mich reich beschenkt.



T.W.
11. 7. 2000





Literatur:


1 . Joseph Beuys: jeder Mensch ein Künstler. Gespräch auf der documenta 5/1972 herausgegeben von Clara Bodemann-Witter, Ullstein Verlag, zitiert nach der 6. Auflage 1997;

2. Werkstattgespräch mit Beuys: 'Was ist Kunst?", das Volker Harlan, Verlag Urachhaus, zitiert aus der 5. Auflage 1996.

3. Arthur Abell: Gespräche mit berühmten Komponisten. Über die Entstehung ihrer unsterblichen Meisterwerke, Inspiration und Genius. Artha Verlag, 5. Auflage.